Doch
kommen wir zurück zu den eingeleiteten, das Internet betreffenden
„Sinisierungs-Schritten“: Wegen der Sprachbarriere, die das Englische im
Internet in bestimmter Hinsicht darstellt, und angesichts der Tatsache,
dass nicht jeder aus dem einfachen Volk bereits gut mit dem Computer umgehen
kann, wird in der chinesischen Debatte der Einführung der chinesischen
URL-Adressen ganz offensichtlich eine strategische Bedeutung für die
Verbreitung und Entwicklung des Internet in China zugesprochen – dies um
so mehr angesichts der rasanten Zunahme der Internetnutzer. Im Augenblick
sind allerdings die meisten chinesischen Websites noch unter .com im Ausland
registriert. Dies bedeutet nicht nur einen Devisenabfluss und eine Belastung
des internationalen Breitbands. Man ist außerdem noch besorgt wegen
der Datensicherheit und einer möglichen Abschaltung oder Lahmlegung
des Service in kritischen Zeiten.
Was
diese Debatte über pragmatische „Sinisierungsschritte“ aber ganz offensichtlich
ausschaltet oder verdrängt, ist die Einsicht, dass Ideologien und
Werte auch unkritisch importiert werden können, wenn man die besagten
„Sinisierungsschritte“ durchführt. Wie schon in den 20er und 30er
Jahren des vorigen Jahrhunderts stände ihrer Verbreitung (in chinesischer
Übersetzung) nichts im Wege, es sei denn, eine ideologiekritische
Reflexion seitens wacher Denker vom Format eines Lu Xun.
„Wie dem auch sei“
In
den USA kann man viele von amerikanischen Unternehmen genutzte Domain-Namen
finden, die gebildet wurden, indem man einfach der Firmenname mit dot-com
(.com) verknüpft hat. Davon ausgehend, kann man – kennt man den Namen
eines bekannten US-Unternehmens – häufig auch auf den genutzten Domain-Namen
tippen. Bei chinesischen Unternehmen ist es aber kaum möglich, ihre
Domain-Namen zu erraten. Daher haben die sogenannten Internet-Schlüsselbegriffe
(chinesische key words, also Schlüsselworte; statt URL), welche die
Navigation im Internet erleichtern sollen, eine besondere Bedeutung in
China: Der Nutzer braucht also nicht die vielen, fraglos komplizierten
URL-Adressen von chinesischen Firmen auswendig zu lernen. Der erfolgreiche
Internet-Dienstleister
www.3721.com
z.B. ermöglicht den Zugriff auf Web-Seiten ausschließlich über
die Eingabe von Schlüsselbegriffen; man findet dort also durch Eingabe
des Namens der jeweiligen Firma oder eines ihrer Produkte, wenn diese bei
besagtem Dienstleister registriert sind, direkt die einschlägigen
Informationen im Netz.
Gegründet
wurde 3721.com im Jahre 1998 in Peking. In der chinesischen Umgangssprache
gibt es ein geflügeltes Wort: „Egal, dass 3 mal 7 ja 21 gleicht.“
Zu Deutsch: „Wie dem auch sei.“ Oder: „Komme, was da wolle.“ Das ist auch
das Motto von 3721.com – jenes Anbieters, der ein lukratives Geschäft
in der Erfüllung der Aufgabe entdeckte, mit Hilfe verschiedener chinesischer
Programme dem einfachen Internetnutzer, der weder Englisch- noch viele
Computerkenntnisse hat, schnell und einfach den Zugang zum Netz zu verschaffen.
Auch dieses ist ein signifikantes Beispiel, wie „Sinisierungs“-Ziele pragmatisch
definiert werden, während man gegenüber den impliziten soziokulturellen
Werten, die im Internet transportiert werden und hier möglicherweise
sogar dominant sind, auf manifeste Art gültig bleibt.
Der
Unterschied zwischen der primären Stützung auf URL-Adressen und
dem Gebrauch der Navigationshilfe (chnesische Zeichen als „Schlüsselworte“)
besteht übrigens wohl hauptsächlich darin, dass der Nutzer nun
nicht mehr http://, www, com, net, cn
oder deren chinesischen Pendants einzugeben braucht, sondern nur keywords.
Vor allem über 3721.com kann man mit keywords zu den gewünschten
Adressen und Informationen kommen und so angeblich das finden, „was man
will“. (Obwohl natürlich die Frage erlaubt sein muss, ob es nicht
auch jene Internetnutzer gibt, die im Internet durchaus das, was sie gerne
finden würden, was sie also „wollen“, nie oder fast nie finden – so
wie es jene Kinogänger oder Fernsehnutzer geben mag, die schon lange
Zeit nie oder nur selten das Glück empfinden, das sehen zu können,
was sie sich erhoffen: also z.B. Filme von großer künstlerischer
Qualität und hohem Reflexionsniveau.)
Inzwischen
ist „3721“ angeblich schon so weit, dass sein tool – also eine Art
„Vermutungsprogramm“ – vorgeblich sogar den Zweck des Nutzers „erraten“
kann, wenn er sich vertippt oder den Suchbegriff („entry“) nicht ganz richtig
eingegeben hat. Eine technische naive Programmierung steckt dahinter: gängigen
Termini werden nur unwesentlich abweichende Varianten automatisch zugeordnet.
In diesem Fall gibt es dann u.U. mehrere Möglichkeiten zur Auswahl.
Zum selben Ergebnis kann der Nutzer übrigens auch mit dem einfachen
Pingyin-System (also der latinisierten Transkription chinesischer Wörter)
kommen. Das funktioniert, als ob man Schlüsselbegriffe eingebe, indem
man nun die lateinischen Buchstaben hulianwang eintippt statt den
chinesischen Zeichen für dieselbe Sache: Internet).
Inzwischen
können bereits 90% der chinesischen Internetnutzer ihre Suche über
IE, MSE Explorer, Netscape, Mozilla, Opera, Net Captor und Tengxun (dies
die Transliteration zweier chinesischer Zeichen) starten, die alle das
Keyword-Konzept unterstützen. Entsprechend sind gegenwärtig bereits
über 300.000 Unternehmen in China unter solchen Schlüsselworten
registriert, so zum Beispiel die Xinhua Nachrichten-Agentur oder auch Microsoft.
Die tägliche Zahl der Navigations-Zugriffe über Schlüsselbegriffe
beträgt mehr als 30 Millionen. Eine aktuelle repräsentative Usability-Umfrage
in bezug auf Einfachheit, Präzision, Verlinkung, Intelligenz, Funktionalität
etc. von herkömmlichen URL-Adressen, chinesischen Domain-Namen und
chinesischer Schlüsselworte-Nevigationshilfe belegt, dass die letztgenannte
Möglichkeit einen großen Vorsprung aufweist, und zwar noch weit
vor den zweitplatzierten chinesischen Domain-Namen. In China ist der „Generationswechsel“
hinsichtlich des Internetzugangs nach anfänglichem Setzen auf IP über
das Bevorzugen der üblichen URL-Adressen nun in die dritte Phase (jene
der Schlüsselbegriffe) geraten, wobei die Form von „http://[chinesische
Zeichen].cn“ allgemein als eine Art Übergang erachtet wird.
„Mit
der chinesischen Schlüsselwort-Navigationshilfe hat der chinesische
Internetzugang allmählich einen eigenen Standard geschaffen“, heißt
es in den Medien. „Dieser entspricht viel mehr dem Wunsch und der Gewohnheit
der chinesischen Internetnutzer und stellt im Moment die beste Navigationsmethode
in den chinesischen Webs dar.“ Ein anderer Kommentator meint: „Die Schlüsselwort-Navigationshilfe
ist bereits zur ersten Wahl hinsichtlich der Navigation im chinesischen
Internet geworden und damit eines der beliebtesten Internet-Dienstleistungsangebote
in China.“ In der oben erwähnten Umfrage hat sich 3721.com mit seinen
als hervorragend apostrophierten Dienstleistungen den besten Platz gesichert.
Der die Ambition von Zhou Hongyi, dem Gründer von 3721.com, ausdrückende
Wahlspruch lautet übrigens: „Damit die Chinesen in der eigenen Muttersprache
ins Netz gehen können.“
Dasselbe
unter der Bezeichnung 3721.com firmierende Unternehmen – bahnbrechend und
führend im Bereich der chinesischsprachigen Internet-Dienstleistung
– hat inzwischen übrigens auch das System der chinesischsprachigen
Email-Adressen, bezeichnet als Cmail, entwickelt und ab Mitte August 2003
offiziell ins Internet integriert. Bereits vor der offiziellen Einführung
des Cmail haben sich 1,2 Millionen Nutzer registrieren lassen; bis Ende
Oktober wird es voraussichtlich 10 Millionen Cmail-Adressen geben. Wie
chinesischsprachige Internetangebote generell, so werden auch Cmail-Adressen
für die chinesischsprachigen User gang und gäbe sein. Dies kann
eigentlich nicht verwundern: denn wie Umfragen zeigen, sind die aus Amerika
stammenden, auf lateinischen Buchstaben basierenden Email-Adressen nach
dem Muster „abc@def.gh“ immer noch zu kompliziert für viele chinesische
Nutzer. Bei dem von 2731.com entwickelten System kann der Nutzer nun eine
Cmail-Adresse haben, die deutlich anders konzipiert ist, und zwar z.B.
nach der Art: [chinesische Zeichen]]@[chinesische Zeichen], also z.B. „Zhang
Yimou@Regisseur“ oder „Fang Weigui@Trier“ (jeweils unter Verzicht auf die
Romanisierung, d.h. mit 'han zi' oder 'Chinese characters' geschrieben).
Diese Art Email-Adresse ermöglicht u.a. auch den Ausdruck einer Eigentümlichkeit
des Email Nutzers, also individuelle Töne in den Email-Adressen. Abgesehen
von der völlig freien Namensgebung kann man hinter dem @-Suffix nun
einen Schlüsselbegriff, eine Website, Firma, Region, Branche, ein
Hobby, einen Beruf usw. nennen. In der chinesischen Internet-Debatte wird
der Einführung chinesischsprachiger Email-Adressen (inzwischen ein
Markenprodukt der nach „Kreativität und Simplizität“ strebenden
3721.com !) eine umwälzende Bedeutung zugesprochen – und zwar nicht
nur für die Erleichterung des e-commerce in China, sondern vor allem
für die Durchsetzung einer spezifischen kulturellen Ausprägung
und damit für die Regionalisierung des globalen Mediums Internet.
So wie Popmusik
Eine
relativ neue Untersuchung zeigt, dass in China unter den beliebtesten Filmen
und Schauspielern durchaus westliche Produkte und westliche Stars zu finden
sind; aber die beliebtesten Sänger zum Beispiel sind ausnahmslos chinesischsprachige
performer.
Hier ist offensichtlich das Gewicht einer sprachlichen Hürde im Spiel,
da man – wenigstens in der Sphäre der Pop Musik – nur selten ein fremdsprachiges
Lied ins Chinesische übersetzt. Betont wird in China derzeit aber
auch bei der Internetnutzung zunehmend die eigene Sprache und Kultur. Offensichtlich
will man mit dem verstärkten Gebrauch des Chinesischen im Internet
dieses noch neue Medium populärer und seinen Einsatz fraglos auch
lukrativer machen.
Die
Praxis scheint daher nicht unbedingt für die These der zunehmenden
„Verwestlichung“ und Anglo-Amerikanisierung Chinas durch das Internet zu
sprechen. In der Debatte über diese Frage vernimmt man inzwischen
nicht selten die Auffassung, entsprechend dem Modell des technologischen
Instrumentalismus sei jede Form der Medientechnik und medialen Kommunikation
als wertfrei und kulturneutral zu betrachten. Das Internet gilt insofern
trotz seiner „Erfindung“ im Westen nicht als per se westliches Instrument.
Es kann in unterschiedlichen Soziokulturen unterschiedlich genutzt, kann
unterschiedlichen Bedürfnissen der jeweiligen Bevölkerungen angepasst
werden. Hinsichtlich der jeweiligen Art der Internetnutzung würde
dies also bedeuten, dass in China aufgrund des spezifischen kulturellen
Kontextes auch eine chinesische Form der Internetkommunikation entstehen
kann. Es verhält sich, so argumentiert man, genau so wie mit der längst
erfolgten Rezeption von westlichen Pop-Musik-Moden in China: Das Konzept
von Pop-Musik, von massenwirksamem Entertainment, das Star-System – allesamt
bis in die 70er Jahre kritisierte und verpönte Phänomene – wurde
übernommen. Inzwischen ist aber in China auch bei den jungen Leuten
die chinesische Pop-Musik (mit mehr oder weniger verstehbaren Texten und
durchaus anderen Tönen als im Westen) wesentlich beliebter als die
Pop-Musik-Importe aus dem Westen.
Anhand
der beschriebenen Relation von übernommenen und nicht übernommenen
Momenten der westlichen (vor allem US-amerikanisch geprägten) „Pop-Kultur“
im chinesischen Kontext seit den 1980er Jahren lässt sich gewiss trefflich
jenes Phänomen reflektieren, das uns brennend interessiert, wenn wir
die Frage nach den dominanten, nicht nur mit der neuen Technologie, sondern
vor allem mit den weltweiten Inhalten des Internet verknüpften Einflüssen
des neuen Mediums sowie nach Art und Ausmaß der „Sinisierung“ des
Internet stellen. Allerdings, so viel ist deutlich: die „Sinisierungsstrategie“,
soweit sie von den Anbietern betrieben wird, lässt inhaltliche, soziokulturelle,
auch ideologische Erwägungen außen vor: ihr geht es vor allem
um erleichterte „usability“ zur Beförderung des Geschäfts. Während
natürlich die offiziellen kulturpolitischen Befürworter der „Sinisierung“
darin eine Waffe zur Abwehr bestimmter, unerwünschter Inhalte sehen
mögen, eine Refokussierung des Nutzer-Bewusstseins auf eine „chinesische
Gedankenwelt.“ Der Kommerzialisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins
gegenüber, die mit den gängigen – chinesischen wie englischsprachigen
Inhalten eng zusammenhängt – scheinen sich allerdings beide Parteien
mindestens gleichgültig zu verhalten.
Bei
der Internettechnologie haben sich die Chinesen in einem gewissen Sinne
also zuerst ‚formatieren’ lassen; mit der Zeit jedoch haben sie sich ganz
offensichtlich – in einigen Punkten (etwa, was die Domain-Namen angeht,
die Beschränkung auf die Nutzung des Englischen oder auf mit lateinischen
Buchstaben eingegebene Worte ) – mit der vorgestanzten amerikanischen Norm
nicht abfinden wollen. Sie haben sozusagen das Muster ‚übernommen’
und
dann variiert, indem sie gemäß den eigenen Bedürfnissen
und Wünschen (sowohl von der Anbieterseite aus wie, im Nachvollzug
der neu gelieferten Optionen, von der Nutzer-Seite aus) ‚einheimische’
Vorstellungen – oder was dafür ausgegeben werden konnte – umgesetzt
haben, sodass man inzwischen z.B. über einen ‚spezifisch chinesischen’
Internetzugang verfügt. Es geht hier ohne Zweifel um ein vom Geschäftskalkül
induziertes, auf Erleichterung der Internetnutzung für die keine Fremdsprache
beherrschenden Massen setzendes Unterfangen, aber zugleich durchaus auch
um eine „kulturell induzierte“ Umformung. Und gerade hier zeigt sich dann
ein wichtiges Moment, bei welchem man wohl bereits von einer kulturspezifischen
Aneignungsform von Online-Angeboten sprechen kann. Das chinesische
Internet „okkupiert“ durch Schaffung der chinesischsprachigen URL-Adressen
die „Konvention“ aus Amerika, um dem Internet so eine spezifische Kulturkomponente
zu unterlegen. Diese Aufhebung stellt fraglos auch eine psychosoziale Widerstandsreaktion
gegen eine totale ‚Formatierung’ dar. Dass die chinesischen Verhandlungsführer
(stellvertretend für Anbieter und Nutzer in China) mit ihrem Bestehen
auf „eigenartigen“ Domain-Namen sich bei der Internet Engineering Task
Force (IETF), einer der bedeutendsten Organisationen für Internet-Standards,
durchgesetzt haben, ist selbstverständlich ein Ärgernis für
das auswärtige Registry-Geschäft, vor allem jenes des monopolistischen
VeriSign/NSI, des Betreibers der zentralen Datenbank für .com-, .net-
und .org-Adressen. Es bedeutet aber ein Stück chinesisches Selbstbewusstsein
und Durchsetzung von Rücksichten auf die Bedürfnisse chinesischer
Nutzer.
Ein subtiles Gefühl
Fördert
das Internet auf diese Weise die Herausbildung kultureller Identitäten?
Ist dieser kleine Erfolg schon als eine Sicherung (oder Rückgewinnung)
einer Art ‚chineseness’ zu verstehen? Begreift man Identität
im Sinne eines dynamischen, sozialen Konstruktes, so besteht ein wesentlicher
Bestand ihrer Erforschung in der Analyse der sie konstituierenden Prozesse.
Mit
der Betonung der chinesischen Sprache im Internet will man sozusagen Farbe
bekennen oder – anders gesagt – gegen den auch durch die amerikanische
technologische Führungsrolle begünstigten US-Kulturhegemonismus
opponieren. Vielleicht geht es hier auch um den Ausdruck jenes, Chinakennern
nicht unbekannten ‚subtilen Gefühls’, um nicht zu sagen, jener Ambition,
die etwa Zhang Chaoyang, Chef von Sohu.com und einer der Protagonisten
des chinesischen Internet, folgendermaßen ausdrückt: „Es gilt,
300 Jahre Demütigung zu überwinden!“ – Hier handelt es sich wohl
um das besonders seit dem Opiumkrieg immer wieder zu beobachtende Ressentiment
vieler Chinesen: angeblich ein hervorragendes Volk, sieht man sich seit
Jahrhunderten schlecht behandelt, ausgebeutet und gedemütigt vom Westen.
Endlich scheint nun vielen die Zeit gekommen, wo China (nicht zuletzt auch
in bezug auf das Internet) mehr oder minder mit den globalen Trends Schritt
halten kann. Mehr noch: man strebt nach Aufhebung der Abhängigkeit
und des wahrgenommenen „Rückstands“. In dieser Orientierung waren
und sind sich seit vielen Jahrzehnten übrigens ganz divergierende
Richtungen einig: die Vertreter der Tonnen-Ideologie der 1950er Jahre,
die sich an sowjetischen Maximen („Amerika überholen!“) begeisterten,
ohne die Frage nach der qualitativen Differenz technologischer und gesellschaftlicher
Innovation zu stellen, ebenso wie die Modernisierer vom Schlag eines Deng
Xiaoping oder die sich „ideologiefrei“ wähnenden Geschäftsleute
wie Zhang Chaoyang, denen das business und der Profit über
alles geht.
Einer
bestimmten These zufolge bleibt die Aneignung neuer Technologien, wie hier
die Nutzung des Internet, kulturimmanenten Rationalitätsnormen unterworfen.
In gewissem Sinne handelt es sich bei der Entwicklung und Durchsetzung
des chinesischsprachigen Internetzugangs ebenso wie bei der „Sinisierung
des Computers“ einerseits um Bestandteile eines hinter dem Rücken
der Akteure sich vollziehenden Prozesses der Herausbildung neuer kollektiver
Identitäten, andererseits um die bewusste Betonung kultureller Eigenständigkeit,
um die bewusste Vorgabe des Ziels der letztendlichen Durchsetzung einer
Art Internet mit chinesischen Vorzeichen, d.h. auch mit eigenen Kommunikationsformen
in der Muttersprache. „Weil elektronische Kommunikation Mauern ignoriert
und dafür Sprache auf den obersten Rang erhebt, taucht Sprache erneut
als Prinzip der Identität auf“, um hier noch einmal mit Kerckhove
zu sprechen.
Nicht
ohne Grund wird in den chinesischen Medien die neue Errungenschaft der
chinesischen Domain-Namen wegen ihrer angeblichen „Affinität zur chinesischen
Kultur“ gepriesen. Es geht dabei ganz offensichtlich auch um die Suche
nach einer chinesischen Identität und um das dieser Identität
zugrunde liegende Wertesystem. Solche Manifestationen regionaler Identitäten
im Bereich der Kultur und hier besonders der Medien sieht man allerdings
nicht nur in China oder auch ‚Greater China’ (d.h. VR China/Hongkong, Taiwan
und Singapur). So gibt es z.B. inzwischen außer chinesischen auch
japanisch- und koreanischsprachige URL-Adressen. Gescheitert ist vor diesem
Hintergrund eine Bemühung, die fast so alt wie die weltweite Etablierung
des Internet ist und davon ausgeht, dass Interoperabilität der Netze
und ein einheitliches Domainnamen-System Grundvoraussetzungen sind, um
sozusagen die Einheit des Internet zu wahren und ein Auseinanderfallen
in konkurrierende Systeme und Domänen zu verhindern. Diese Einheit
sollte erstaunlicherweise auf der Basis des Englischen garantiert werden,
das die sprachliche Einheit zwischen einer Vielzahl von Nationen (von England
und den USA bis zu den anglophonen Staaten Afrikas, der Karibik und Süd-
sowie Südostasiens) bilde: „If anything“, sagte noch 1996 George A.
Keyworth, Direktor der US-amerikanischen Progress and Freedom Foundation,
“the common bonds of language, culture and religion that tie nations together
are becoming even stronger, it seems. I see no evidence that it will be
different in cyberspace.” (People and Society in Cyberspace) Dies
gilt allerdings nicht nur für das Englische, sondern auch für
das Chinesische.
Keyworth
übersah gewissermaßen, dass die “common bonds of language [and]
culture” auch in Asien und über Asien hinaus Sprecher des Chinesischen
in mehreren Staaten als diskursive Partner neuer, internetgestützter
Debatten „zusammenbinden“ oder in einer vielfältigen Einheit Diskutierender
und Reflektierender zusammenführen könnten, wobei die Kenntnis
von Fremdsprachen (des Chinesischen in anderen Teilen der Welt, des Spanischen,
Arabischen, Russischen, Englischen usw. seitens chinesischer Muttersprachler)
immer auch bedeuten dürfte, dass man nach Formen des Austauschs über
die Sprachbarrieren hinweg suchen wird. Die Einheit des Netzes wäre
dann nicht zu trennen von der Stärkung regionaler diskursiver Schwerpunkte,
die sich in Süd- und Mittelamerika vermutlich des Spanischen und Portugiesischen,
in Ostasien vor allem des Chinesischen bedienen würden; sie wäre
darüber hinaus real im Austausch der Kulturen und der an ihnen Teilhabenden,
wobei keiner Sprache auf Dauer das Vorrecht, „lingua franca“ zu sein, gebührt. |